Zum letzten Mal dürfen wir euch dieses Wochenende in unserer Veganuary Portraitreihe eine Verfechterin der pflanzlichen Ernährung vorstellen: Brigitte arbeitet seit einigen Jahren als Tierfotografin, doch bis sie wirklich ihren Traumjob geniessen konnte, musste sie einige Hochs und Tiefs durchleben.
Als sich Brigitte bereits als 30-Jährige kaum mehr schmerzfrei bewegen konnte, begegnete sie zuerst vor allem dem Unverständnis der Ärzte. Sie wäre noch viel zu jung für eine solche Erkrankung. Erst nachdem die Symptome einfach nicht nachliessen, wurde sie 2013 zum Rheumatologen geschickt, der zwei MRI und vier Blutabnahmen später zur unbefriedigenden Diagnose Weichteilrheuma in Kombination mit einer Polyarthritis kam. Als Brigitte jedoch mit einem erneuten Schub auf das verschriebene Antirheumatikum reagierte, statt mit der erwarteten Verbesserung, wusste auch dieser nicht mehr weiter. Sie selbst litt vor allem darunter, dass man ihr nicht recht glaubte, da ihr äusserlich nichts anzusehen war. Als wäre diese körperliche Einschränkung in jungen Jahren nicht belastend genug, hatte sie selbst schon das Gefühl, sie wäre ein Simulant.
Ihre Erkrankung brachte es natürlich mit sich, dass sie sich oft schlapp und müde fühlte. Als eine Freundin ihr das Buch «Vegan for fit» von Attila Hildmann empfahl, das gegen deren ständige Müdigkeit geholfen hätte, wurde sie hellhörig. Doch als sie las, dass es von pflanzlicher Ernährung handle, schreckten sie all die Klischees rund um den Veganismus zuerst ab. Da sie aber etwas gegen ihre Schlappheit unternehmen wollte, liess sie sich dennoch auf das Experiment ein: Sie wollte gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten die vorgeschlagene 30-Tages Challenge ausprobieren, obwohl sie eigentlich nichts von solchen Wettbewerben hielt.
Um nicht unnötig Lebensmittel zu verschwenden, liessen sie alles Tierische langsam auslaufen, kochten aber teilweise schon vegan. Doch als es dann endlich richtig losging, konnte Brigitte bereits kaum mehr Butter schmecken, ohne dass ihr übel wurde. Auch wenn die ersten rein pflanzlichen Rezepte nicht alle auf Anhieb gelangen, probierten sie weiter und hatten schnell den Dreh raus: Die vegane Kost schmeckte beiden vorzüglich. Ein weiterer Pluspunkt, den sie bereits nach wenigen Tagen feststellen konnten, war eine gesunde Gewichtsreduktion, ganz ohne Verzicht, lediglich durch die bewusstere Ernährung. Doch dass Brigitte nach den ersten zwei, drei Wochen keine merklichen Gelenk- und Muskelschmerzen mehr hatte, war sicher der grösste und überraschendste Erfolg – auch wenn sie natürlich auch weiterhin besser als andere auf ihre Gelenke aufpassen müsse und nie wieder ganz so beweglich sein werde wie früher. Ihre Entscheidung jedoch war gefallen: Bei dieser Ernährung wollte sie bleiben.
Zu dieser Zeit spielten ethische Überlegungen noch eine Nebenrolle, auch wenn sie sich bereits als Kind stark für den Tierschutz interessierte und auch schon vegetarisch gelebt hatte. Doch ihre Liebe zum Fleisch konnte sie bisher noch nie komplett loswerden, weshalb sie damals auch wieder rückfällig wurde. Während die vegetarische Ernährung aber in der Zwischenzeit akzeptiert sei, werde man als Veganerin immer wieder darauf angesprochen, warum man sich das antue und dass das ja nicht gesund sein könne. Dies bringe einen automatisch dazu, dass man sich selbst noch intensiver damit auseinandersetze, um den Kritikern Rede und Antwort stehen zu können. Durch dieses Interesse erkannte Brigitte die tieferen Zusammenhänge, die Relationen zum Umwelt und Tierschutz sowie unseren zwiespältigen Umgang mit Mitlebewesen. Denn obwohl sie bereits als Jugendliche auf einem Bauernhof gearbeitet hatte und genau wusste, wie es den kleinen Kälbchen erging, hatte sie es damals noch nicht hinterfragt.
Die Veränderung muss in einem selbst beginnen
Nach der Umstellung sei sie auf viele Freunde zugegangen, die sich bereits seit Längerem pflanzlich ernährten und erkundigte sich, weshalb diese ihr nie gesagt hätten, dass das so genial sei und dass man sich so viel besser fühle. Heute weiss sie warum: Man könne niemanden missionieren, es müsse bei jedem Einzelnen «klick» machen, erst dann sei man bereit für den Wechsel. Nur schon das Wort «vegan» sei heute für viele ein rotes Tuch. Trotzdem säe sie gerne Samen, wie sie es nennt, und einige davon beginnen zu keimen, andere blühen bereits.
Nicht zuletzt sind sicher auch viele der Halbwahrheiten, die rund um die pflanzliche Ernährung herumgeistern, mitschuldig an diesen Vorbehalten. Brigitte wollte es deshalb genau wissen und liess ihren Arzt neue Blutproben nehmen und diese mit jenen vor der Umstellung vergleichen. Während sie in der Vergangenheit trotz omnivorer Kost einen auffälligen Nährwertemangel aufgewiesen hätte, hätten sich ihre Werte nach einiger Zeit als Veganerin deutlich verbessert. Auch ihr Arzt bestärkte sie, sie solle die neue Ernährung beibehalten, das sehe sehr gut aus. Diese Bestätigung – sozusagen schwarz auf weiss – war ihr wichtig, nachdem sie jahrelang wegen ihrer Schmerzen nicht ernst genommen wurde. Nur die Müdigkeit – das muss sie zugeben – hat sich leider nicht wirklich gebessert, aber dass sie heute schmerzfrei unterwegs sein könne, sei für sie schon mehr, als sie jemals erwartet hätte.
Würde man sie heute fragen, weshalb sie vegan lebe, würde sie nicht mehr ihre Gesundheit in den Vordergrund stellen, sondern das Tierwohl und den Umweltschutz als nicht minder ausschlaggebend bezeichnen. Durch ihre Umstellung hat sich auch ihr Verhältnis zu Tieren im Allgemeinen verändert, gerade bei ihrer Arbeit als Tierfotografin merke sie, dass sie automatisch eine tiefere Beziehung mit diesen eingehen könne. Vertrauen aufzubauen sei sehr wichtig, denn ein Tier möge nicht ewig stillstehen beim Shooting – ähnlich wie ein Kind. Man müsse immer darauf achten, eine Wohlfühl-Atmosphäre zu schaffen. Und obwohl sie versuche, das Thema vegan nicht von sich aus anzusprechen, komme es manchmal zu interessanten Gesprächen. Auf Nachfrage erzähle sie gerne von ihren eigenen Erfahrungen mit der Umstellung, unterstütze Interessierte in deren eigenen Entscheidung und gebe ihnen Tipps. Dass dieser Weg besser funktioniere statt unerfragtes Missionieren, beweisen ihr mehrere Bekannte und auch Kunden, die nach gemeinsamen Gesprächen und in ihrem eigenen Tempo umgestellt hätten. Oftmals fehle bei vielen nur noch der letzte Schupps und sie trügen die Überlegungen bereits seit Längerem mit sich herum. Natürlich würde sie am liebsten noch mehr Menschen erreichen, doch sie hat sich eine sympathische Taktik angewöhnt: Sie überzeuge ihre Mitmenschen lieber durch Genuss. So koche und backe sie oft und gerne vegane Leckerbissen und verteile diese in ihrem Umfeld, an ihren Fotokursen – oder gebe sie auch mal ihrem Mann für seine Mitarbeiter mit.
In kleinen Schritten zum Ziel
Vor ihrer gemeinsamen Beziehung war ihr Mann zwar noch Omnivore, hatte aber langsam die Nase voll davon, immer dasselbe zu essen. Aus diesem Grund probierte er anfangs aus purer Neugier ihre veganen Menüs, und war begeistert. Da er übergewichtig war und allgemein gesünder essen wollte, stellte er nach drei Monaten Probe mit nur wenigen Ausnahmen ebenfalls komplett auf eine pflanzliche Ernährung um. Sein Übergewicht hätte sich schnell reduziert und er fühle sich auch sonst sehr wohl mit seiner Entscheidung. Ein grosser Teil seines Umfelds hätte jedoch stets das Gefühl gehabt, dass dies alles nur von ihr erzwungen worden wäre und er nur ihr zuliebe vegan lebe. Erst nachdem sie kurze Zeit getrennt gewesen waren und er dennoch dabei geblieben sei, seien einige auf sie zugekommen und hätten ihr Misstrauen begraben.
Brigitte ist heute glücklich, sowohl mit ihrer wiedergefundenen Schmerzfreiheit, aber vor allem auch mit ihrer Entscheidung, sich nicht mehr am weltweiten Tierleid beteiligen zu wollen. Sie halte es in der Zwischenzeit kaum mehr aus, wenn jemand neben ihr Fleisch esse – das Wissen lasse sich einfach nicht mehr verdrängen wie früher. Sie freue sich aber über jeden kleinen Schritt in die richtige Richtung, sei es, dass ihre Eltern in der Zwischenzeit extra vegan kochen, wenn ihr Mann und sie zu Besuch kommen und sogar dasselbe mitessen oder dass sich immer mehr Freunde und Bekannte für die pflanzliche Ernährung interessieren würden, nach Rezepten fragten und sich dank der vielen Dokumentationen, die aktuell zu sehen sind, informierten. Dies seien vielleicht nur einzelne Tropfen auf den heissen Stein – doch aus vielen kleinen Veränderungen könne etwas Grosses entstehen.